R a v e l i n e     2003
 
 


  Sex, Gewalt und Romantik

"Wenn es ein Symbol gibt für Terror, Unterdrückung, Folter und Mord, dann ist das die Flagge der USA." – Nicht gerade ein Statement, das die derzeitig frostigen deutsch-amerikanischen Beziehungen auftauen könnte, sondern ein aktuelles Zitat des musikalischen Projektes Deutsch Amerikanische Freundschaft, kurz DAF. Anlässlich eines neuen Albums sprach Hauke Schlichting in Berlin mit Robert Görl und Gabi Delgado Lòpez.
 
 
 

Als "Punkgruppe, jedoch voll elektronisch" sieht sich das Duo, das Musikgeschichte geschrieben hat. Schon damals vor 25 Jahren, als sich Gabi und Robert in der Keimzelle der deutschen Punkszene, im Düsseldorfer "Ratinger Hof" trafen, war das Konzept so simpel wie revolutionär: Texte und Musik auf ein Minimum verdichten, mit Aussagen und Taten provozieren und Tabus aufgreifen. Eine Formation aus Deutschland, die die Kultur des eigenen Landes radikal ablehnt und ein Umdenken in Kunst und Leben fordert. Das gilt damals wie heute. 
Nach 15 Jahren Pause und Konzentration auf andere Projekte sind DAF wieder vereint und haben ein neues Album fertiggestellt. "Fünfzehn neue DAF Lieder" heißt es schlicht und schon nach wenigen Sekunden hört man, wer hier am Werk ist. Gabis aggressiver Sprechgesang trifft in symbiotischer Weise auf Roberts monotone Sequenzerläufe und Beats. Trackorientierte Songs, ohne Refrain und ohne Strophen, analoge Sounds als Mittel für Intensität und Reduktion als Weg, um maximale Energie zu generieren. Vor 25 Jahren war das eine musikalische Revolution, hört man jetzt dieses Up-Date klingt es sehr modern und doch gleichzeitig vertraut. Natürlich klauen DAF bei sich selbst, aber entscheidend ist wohl eher der Umstand, dass wenn man sich an acidlastige Oldschool-Techno-Sounds oder grummelnde End-Achtziger-EBM erinnert fühlt, dies daran liegt, dass DAF Generationen von Musikern beeinflusst haben. Das neue Album klingt zeitlos, weil vieles von dem, was DAF als erste gemacht haben, seit Jahren allgegenwärtig ist. Um ein frisches, extrem tanzbares Techno-Album zu erstellen, brauchte es nicht zwingend Einflüsse von außen, Robert und Gabi haben DAF neu erfunden.
 

Raveline: Eure ersten fünf Alben vor gut 20 Jahren haben euch einen Platz in der Musikgeschichte gesichert, weil Konzept und Sound so vorher nicht da waren. Habt ihr Sorge, dass man jetzt nach so vielen Jahren erneut von euch erwartet, revolutionäre Musik zu machen?

Robert: Nein, sieh das doch mal so: unsere Musik war niemals out of Fashion. Natürlich hat sich diese Musik weiterentwickelt, aber du kannst eben noch heute unsere Einflüsse auf diese Musik hören. Das gilt auch 2003. Deshalb können wir nahtlos daran anschließen, wir haben keinerlei Problem mit irgendwelchen Ansprüchen. Wir sind ja keine Nostalgiker, die das Gefühl haben, mal wieder etwas machen zu müssen. Uns hat ja auch nicht irgendeine Technik überholt.

Raveline: Das nicht, das Album klingt ja sehr modern. Aber fehlt euch nicht trotzdem dieses Neuartige, Noch-nicht-da-gewesene?

Gabi: Dazu muss ich mal etwas Grundsätzliches sagen: wenn ein Kind zum ersten Mal eine heiße Herdplatte anfasst und sich da verbrennt oder zum ersten Mal auf ein Klavier haut, dann ist das ein Erlebnis, das du nie wieder erstellen kannst. 

Robert: Genau! Du musst nicht zweimal was erfinden. Du kannst daran weiterarbeiten. Wenn du etwas erfunden hast, was zwei Jahrzehnte geprägt hat, warum sollst du dann unter dem Druck stehen, etwas neues erfinden zu müssen?

Gabi: Hätten wir uns umbenennen sollen? Und nicht Deutsch Amerikanische Freundschaft? Nein, das ist doch genauso aktuell. Es hat sich doch nichts geändert. Gibt es irgendwelche Musik, die wie DAF von 1980 klingt und die Charts beherrscht? Nein. Genauso wie Deutschland noch immer ein Sklave der USA ist, genausowenig hat sich was in den Charts getan. Das sind doch alles Sachen, die noch immer gelten. Es wär’ ja auch blöd, wenn wir uns jetzt umbenennen würden in "Deutsch Arabische Freundschaft".

Raveline: Ihr habt damals ja nicht nur musikalisch neue Wege eingeschlagen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene. Zum Beispiel Hitler und Mussolini neben Jesus Christus zu stellen und daraus Pop zu machen, war ja ein Tabubruch. Zumal Ihr euch damals in Interviews nie wirklich klar dazu geäußert habt. Nun hat sich in den letzten 20 Jahren viel verändert durch Computerisierung, das Internet, die Erweiterung der Medienlandschaft etc. Könnt Ihr heute überhaupt noch provozieren, gar Tabus brechen?

Gabi: Ich glaube, es stimmt nicht, dass die Tabus weniger geworden sind. Im Gegenteil, vieles ist doch runder, glatter geworden. Nimm mal das Beispiel Sport und mit Fußball kenn ich mich wirklich aus: 1980 gab es viel mehr Spieler, die angeeckt sind als heute. Es gibt so viele politische, sexuelle, wirtschaftliche Tabus, die findest du in jeder Welt. Und wir haben uns nie hingesetzt und gesagt, wir machen jetzt einen Text, der extra provozieren soll. Das was wir denken, ist einfach provokant. Was wir denken zu diesem Leben, zum deutschen Staat und den Amis, oder wie wir Sex gegenüberstehen, ist halt für viele Leute nicht akzeptabel. 

Raveline (an Gabi): Als wir letzten Sommer beim Interview (anlässlich des ersten DAF-Konzertes seit 1986) über das Thema Provokation geredet haben, hast du gesagt, dass es jetzt erst richtig los geht. Auf der neuen Platte gibt es natürlich Textzeilen, die provokant sind. Zum Beispiel: "Verbrechen lohnt sich."

Gabi: Ich möchte hinzufügen, einen Bankräuber bewundere ich viel mehr in seiner sozialen Funktion, als eine Mutter oder einen Vater.

Raveline: Inwiefern in seiner sozialen Funktion?
 
 
 

Gabi: Eine Mutter ist da, um das System zu erhalten. Um die nächste Menschenbrut zu generieren. Der Verbrecher ist zum Zerstören da. Zum Wegnehmen, zum Minimieren. Das ist richtig. "Der Sheriff" mit dem Untertitel "anti amerikanisches lied" ist auch ein provozierendes Stück, wie wir jetzt durch die Reaktion von bestimmten konservativen Medien erfahren haben. "Ich bin tot, das ist gut" ist ein Tabu. Da beschweren sich schon irgendwelche bayrischen Vereine drüber. Das man damals im Ruhrgebiet im Lateinbuch neben BVB und Schalke RAF stehen hatte, ist eine Tatsache, aber immer noch ein Tabu. 

Raveline: Dass die RAF als Pop wahrgenommen werden kann, hat doch spätestens der Film "Baader" gezeigt...

Gabi: Ja, klar, es gibt Labels, die "Prada Meinhoff" heißen und Touristenbusse, die zum "Ground Zero" fahren. Das ist die integrative und assimilierende Kraft des Kapitalismus’. Kapitalismus kann alles assimilieren: Folter und Mord, Terror und Vergewaltigung.

Robert: Mit dem "Sheriff" haben wir alle Sheriffs gemeint...

Gabi: Genau, für die Deutschen ist das vielleicht der Ami, für die Kurden der Türke, für die Tschetschenen der Russe. 

Robert: Jede Familie hat einen Sheriff, einen Unterdrücker...

Gabi: Alle Menschen, die heute irgendwie mächtig oder reich sind, waren ja irgendwann mal böse. Das gilt für Flick genauso wie für die Grimaldis, die britische Königsfamilie oder die Bushs. Die haben alle Leichen im Keller und wenn es nur so ist, dass sie ihre Macht und ihren Reichtum von Menschen geerbt haben, die wiederum früher anderen Menschen alles weggenommen haben. Deshalb hat Mao auch völlig recht, wenn er sagt "Alle Macht der Welt kommt aus den Gewehrläufen". Es gibt nur zwei Arten, deine Aura zu durchdringen: Sex oder Gewalt. 

Raveline: Das sind immer noch eure beiden Hauptthemen... 

Gabi: Ja, stimmt, aber auch noch Märchen, deutsche Romantik. Du kennst mich doch, das ist ja auch im wirklichen Leben so, warum sollte das in der Musik anders sein. Das ist genauso neu wie damals, weil es sich radikal von der real existierenden Popwelt unterscheidet. 

Robert: Das wäre ja gar nicht möglich, wie sollen sich Themen wie Sex auch erschöpfen? Wenn sich Sex erschöpft, dann ist die Welt zuende.

Gabi: In der Musik wie auch in der Kunst gibt es so magische Formeln. Deshalb wird es immer "Star Wars" geben. Und immer DAF.

Raveline: Dann macht Ihr jetzt wieder fünf Platten und legt dann eine längere Pause ein?

Gabi: Nee, diesmal wollen wir uns schon im April auflösen (lacht lauthals)...

Robert: Genau, wir hauen dann mit der Vorverkaufskasse unserer Tour ab...

Gabi: Und das spenden wir dann alles der Al-Quaida – für die Vergiftung amerikanischer Cola. Wir wollen alle davor warnen, dass es nicht nur politisch falsch ist, sondern auch gefährlich ist, amerikanische Produkte zu konsumieren. 

Raveline: Euer Bandname, den ihr euch damals ja in einer Nacht eher beiläufig aus dem Ärmel geschüttelt habt, ist heute brisanter denn je zuvor. Und gerade die neue Platte verdeutlicht, dass euer Name eher ein zynisches Statement ist.

Gabi: Richtig. Der Name ist damals entstanden, weil man bei den Fahrten durch die DDR immer die Schilder gesehen hat, auf denen stand "Lang lebe die deutsch-sowjetische Freundschaft". Da haben wir gedacht, genauso wie die im Ostblock unfrei sind, sind wir unfrei in unserem Westblock. Bei uns stand überall "Trink Coca-Cola", aber das bedeutet das gleiche wie "Lang lebe die deutsch-amerikanische Freundschaft". Diese amerikanische Monokultur haben wir schon immer satt gehabt und im Moment ganz besonders. 

Raveline: Spielt ihr auf der Tour Anfang April auch alte Stücke?

Gabi: Die Tour heißt "30 DAF Lieder" und auf der neuen Platte sind nur 15... Das einzige, was von den alten Hits nicht dabei sein wird, ist "Kebapträume". Eins der wenigen Stücke von uns, das von der Historie überrollt worden ist. Es gibt ja keine "Mauerstadt" oder "Türkkultur hinter Stacheldraht" mehr.

Raveline: Dann fällt ja auch die Textzeile "Deutschland, Deutschland alles ist vorbei!" weg...

Gabi: Nein, die wird in einen anderen Song integriert, die Zeile gilt ja nachwievor...
 

t                                                                                                                                               Hauke Schlichting
 

                                        Back to Start
                                        Back to GörlDelgado-Media-Print